Frankenstein (1931)

4. Juli 2016 | Filmkritik | Michael Brandtner

Jeder kennt Frankensteins Monster. Während der durchschnittliche Passant in der Fußgängerzone wohl nur wenig Kenntnisse über das Kino der 30er Jahre besitzt, wird ein Bild des Monsters mit dem kantigen Gesicht und den Schrauben im Hals fast immer auf Wiedererkennung stoßen. Obwohl der Einfluss von Frankenstein (1931), in dem das berühmteste Monster der Filmgeschichte seinen ersten Auftritt hatte, wohl kaum zu überschätzen ist, muss das natürlich nicht bedeuten, dass es sich wirklich um einen guten Film handelt. Dieser Frage möchte ich daher in meinem heutigen Artikel nachgehen.

Hauptfigur des Films ist nicht das Monster, sondern der Wissenschaftler Henry Frankenstein (Colin Clive). Zurückgezogen in einem verfallenen Turm geht er mit Hilfe seines buckligen Assistenten Fritz (Dwight Frye) biologischen Experimenten nach, weil er aufgrund seiner grenzüberschreitenden Forschungen aus der Universität geworfen wurde. Henrys Ziel ist es Leben zu erschaffen, auch wenn es dafür nötig ist, nachts auf Friedhöfen kürzlich beerdigte Leichen wieder auszugraben, um die Körper als Material zu benutzten. Seine Verlobte Elisabeth (Mae Clarke) und sein ehemaliger Professor Waldman (Edward Van Sloan) versuchen, den sich immer stärker in seine Forschungen hineinsteigernden Wissenschaftler zur Besinnung zu bringen, doch ohne Erfolg: Sie können nur hilflos mit ansehen, wie das von ihm aus Leichenteilen zusammengesetzte Wesen per Blitzschlag zum Leben erweckt wird …

Das auf Kurzfilme und B-Movies spezialisierte Filmstudio Universal Pictures nutze Anfang der 30er Jahre eine Marktlücke aus: Keines der großen Hollywoodstudios war zu dieser Zeit bereit, Horrorfilme zu produzieren und so entschied sich Universal dafür, mit vergleichsweise kleinem Budget die zwei bekanntesten Gruselgeschichten des 19. Jahrhunderts zu verfilmen: Bram Stokers Dracula und Mary Shelleys Frankenstein. Als Vorlage diente jeweils nicht der Roman selbst sondern eine Bühnenadaption der Geschichte. Den 1931 veröffentlichten Filmfassungen merkt man diese Herkunft deutlich an: Die aus meist statischen Kameraeinstellungen aus der Halbtotalen oder Halbnahen gefilmten Dialoge erinnern deutlich an ein abgefilmtes Theaterstück, weshalb der Inszenierungsstil dieser Werke im Vergleich zu Stummfilmadaptionen wie Nosferatu (1922) eher als Rückschritt zu werten ist. Dass Frankenstein dennoch stellenweise mit beeindruckenden Bildern aufwarten kann, liegt daher weniger an der Regie von James Whale (der seine Wurzeln ebenfalls im Theater hat), sondern vor allem am expressionistischen Bühnenbild von Herman Rosse und dem ikonischen Monster-Make-Up von Jack P. Pierce.

Wirklich gruselig ist der Film selbst für damalige Zuschauer wahrscheinlich nur an wenigen Stellen gewesen. Ein recht großer Teil der Laufzeit wird auf Gespräche zwischen den Angehörigen des Protagonisten verwendet, deren größte Sorge es zu sein scheint, dass Henry Frankenstein durch seinen Arbeitseifer seine Hochzeit vergessen könnte. Der offenbar als Comic Relief geschriebene und gespielte Vater Baron Frankenstein (Frederick Kerr) sticht hierbei besonders negativ hervor. Es gibt inhaltlich jedoch auch interessante Facetten: Hier ist vor allem die vielschichtige Charakterisierung des Monsters zu nennen. Während andere Universal-Unholde wie Dracula oder Die Mumie (1932) durchweg böse sind, verhält sich die von Boris Karloff gespielte lebende Leiche eher wie ein wildes Tier oder kleines Kind. Nachdem das Monster auf seiner Flucht aus der Gefangenschaft bereits zwei Menschen ermordet hat, geschieht die Tötung eines kleinen Mädchens auf solch eine unschuldige und naive Art und Weise, dass diese Szene noch lange nach dem Ansehen des Films in Erinnerung bleibt. Ab diesem Zeitpunkt kann man nur noch Mitleid mit dem Monster haben, das mit seinen traurigen Augen und seinem trottenden Gang nun vor der gesamten Dorfgemeinschaft fliehen muss …

Fazit:

Frankenstein ist für heutige Zuschauer natürlich nicht mehr besonders gruselig und einige Dialogszenen zwischen den Nebenfiguren könnte man sogar als langweilig zu bezeichnen. Dennoch ist dieser Klassiker durch das ansprechende Design und den interessanten Antagonisten auch 85 Jahre nach seiner Premiere noch sehenswert.