Kriegerin (2011)

16. Dezember 2013 | Filmkritik | Michael Brandtner

David Wnendt hat mit seiner Interpretation des Skandalromans Feuchtgebiete einen der erfolgreichsten deutschen Filme dieses Jahres in die Kinos gebracht. Bekannt wurde der 36-jährige Regisseur jedoch bereits Ende 2011 mit seinem Drama Kriegerin über den Sinneswandel einer jungen rechtsradikale Frau in Ostdeutschland.

Alina Levshin
Protagonistin Marisa (Alina Levshin)
© Ascot Elite Home Entertainment / Alexander Janetzko
Marisa (Alina Levshin) ist Teil einer Neonazi-Clique in einer Kleinstadt im Osten der Bundesrepublik. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen verbringen ihre Freizeit mit Alkohol, Musik, Propagandafilmen und dem Zusammenschlagen von Ausländern und anderen Menschen, von deren Anwesenheit sie sich provoziert fühlen. Eines Tages kommt es zu einem Konflikt mit den jungen Afghanen Rasul (Sayed Ahmad Wasil Mrowat) und Jamil (Najebullah Ahmadi) in dessen Folge die beiden mit dem Roller flüchten. Marisa folgt ihnen mit dem Auto und drängt sie von der Straße ab. Als sie realisiert, was sie getan hat, stellen sich Schuldgefühle ein: Könnte sie tatsächlich ein Menschenleben auf dem Gewissen haben?


Auch wenn die gesellschaftlichen und historischen Hintergründe sehr unterschiedlich sind, bietet es sich aufgrund der Handlung an, Kriegerin mit dem amerikanischen Drama American History X (1998) zu vergleichen. Beide erzählen von einem Mitglied der Neonazi-Szene, das sich von dieser im Verlauf der Handlung abwendet. Ausgelöst wird dies in beiden Filmen durch das Kennenlernen eines Mitglieds der verhassten Minderheit. Während Derek in Tony Kayes Film im Gefängnis eine Freundschaft zu einem schwarzen Mithäftling aufbaut, beginnt Marisa aus Schuldbewusstsein Rasul dabei zu helfen, zu Verwandten in Schweden zu gelangen.

Tatsächlich ist dieser Sinneswandel in Wnendts Film glaubwürdiger als im amerikanischen Drama. Dies liegt vor allem daran, dass Derek in American History X als kaltblütiger Mörder und als ausgesprochen überzeugter Anhänger einer rassistischen Ideologie dargestellt wird und es doch eher wie ein naiver Wunschtraum wirkt, dass sich solch eine Einstellung durch das Kennenlernen eines dunkelhäutigen Menschen so leicht ändern ließe. Wnendt stellt seine Protagonistin hingegen als eine eher sensible Person dar und die rechte Szene als weitgehend unpolitisch. Zwar wird im Verhalten der Gruppe ein diffuser Fremdenhass deutlich und durch Hakenkreuze und Hitler-Tattoos wird der Nationalsozialismus verherrlicht, doch Dialoge, in denen eine konkrete politische Einstellung deutlich werden würde, existieren nicht.

Gerdy Zint
Sandro (Gerdy Zint)
© Ascot Elite Home Entertainment / Alexander Janetzko
Zugespitzt wird dies in einer Szene, in der ein Heft mit rechtsextremer Propaganda von Sandro (Gerdy Zint), dem Freund der Protagonistin, vom Balkon geworfen wird. „Das sind auch nur Worte“, sagt er und will stattdessen Taten sprechen lassen, sieht sich gar in einem Krieg gegen die Gesellschaft. Doch zu sehen ist davon im weiteren Verlauf des Films nichts. So gewinnt man den Eindruck, dass Marisa nicht aus einer wirklichen Überzeugung Ausländer hasst, sondern weil sich dies in ihrem Umfeld so gehört. Als sie diesem schließlich den Rücken zukehrt, ist die Überwindung ihrer Vorurteile daher nur eine logische Konsequenz.


Es lässt sich nur mutmaßen, weshalb Wnendt sich entschieden hat, die Neonazi-Szene als eine Subkultur darzustellen, deren Mitglieder nicht aus politischen Überzeugungen handeln, sondern vor allem aus einem Wunsch nach Abgrenzung vom Rest der Gesellschaft. Das paradoxe Ergebnis ist ein Film über Rechtsextremisten, in dem Rassismus nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt. So wird das gezeichnete Milieu im Prinzip austauschbar, viele Szenen könnten sich auch in einer Gruppe von Hooligans, Rockern oder Jugendlichen mit Migrationshintergrund abspielen. Eine Ausnahmeerscheinung ist da der ältere Clemens (Haymon Maria Buttinger), der in der Clique eine Art Mentorenrolle einnimmt. Dieser schmierige, ausgerechnet aus Österreich stammende Mann ist der einzige Protagonist in Kriegerin, der eine gefestigte rechtsradikale Ideologie zu haben scheint und diese gegenüber den anderen auch vertritt, zum Beispiel wenn er Sandro vorwirft, seine Freundin nicht genug unter Kontrolle zu haben. Hierdurch wird das Bild gezeichnet, dass rechtsradikale Gewalt von einigen wenigen gesteuert wird und die meisten Nazis unpolitische Mitläufer sind – eine ebenso populäre wie fragwürdige Theorie, die entgegen der historischen Fakten auch häufig in der Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus vertreten wird.

David Wnendt
Regisseur David Wnendt
© Ascot Elite Home Entertainment
Doch auch wenn man die politischen Aspekte außen vor lässt und den Film stattdessen als ein Drama über eine junge Frau versteht, die in die falschen Kreise geraten ist, funktioniert er nur eingeschränkt. Während Hauptdarstellerin Alina Levshin die Zerrissenheit ihrer Figur ausgesprochen überzeugend spielt und auch die Bildgestaltung von Kameramann Jonas Schmager positiv zu erwähnen ist, ist es auch auf dieser Ebene vor allem das Drehbuch, das zu wünschen übrig lässt. Wenn es einen Ladendiebstahl, eine erzwungene Mitfahrt, eine im Auto vergessene Dose und einen Nagel im Fuß benötigt, um Marisa und Rasul für ein paar Stunden Zeit miteinander verbringen zu lassen, wirkt dies schon arg konstruiert. Spätestens, wenn gegen Ende des Films dann auch noch in einer lebensgefährlichen Situation das Auto nicht anspringt, bekommt man den Eindruck, dass Wnendt für das Schreiben und Inszenieren eines glaubwürdigen Dramas schlicht und ergreifend noch die Erfahrung fehlt.


Fazit:

Vor allem dem differenzierten Spiel von Hauptdarstellerin Alina Levshin ist es zu verdanken, dass Kriegerin bis zum Schluss dennoch interessant bleibt. Doch insgesamt ist der Film zu klischeehaft und oberflächlich, um seinem komplexen Thema wirklich gerecht zu werden.


Was andere schreiben

artechock: Die Neonazimädels und ihr Milieu – Für Rüdiger Suchsland ist Kriegerin ein Beispiel dafür, dass viele deutsche Drehbücher an übermäßigen Psychologisierungen kranken.

Manifest: Kritik zu Kriegerin – Martin Eberle sieht den Film „als idealtypisches Beispiel für das Niveau des aktuellen Rechtsextremismus-Diskurses“, bei dem Rassismus in Deutschland nur als Problem vom Rande der Gesellschaft gesehen wird.