Astrid (2018)

9. Februar 2021 | Filmkritik | Michael Brandtner

Ein Film über Astrid Lindgren klingt erst einmal nach dem typischen Künstler*innen-Biopic. Doch wie aus der jungen Schwedin eine der berühmtesten Kinderbuchautorinnen der Welt wurde, ist überraschenderweise nicht wirklich das Thema dieses Films. Aber ist das jetzt gut oder schlecht?

Schweden in den 1920er-Jahren. Die 16-jährige Astrid Ericsson (Alba August) wächst mit ihrer Familie auf einem kleinen Hof in Småland auf. Astrid denkt sich gerne Geschichten aus, die sie ihren kleineren Geschwistern immer und immer wieder erzählen muss. Eines Tages erhält sie die Möglichkeit, als Volontärin bei einer Lokalzeitung zu arbeiten. Chefredakteur Reinhold Blomberg (Henrik Rafaelsen) ist von ihrem Schreibstil begeistert. Astrid genießt sichtlich die Anerkennung des deutlich älteren Mannes, der gerade von seiner Frau verlassen wurde. Bald beginnt eine Affäre, die zu einer folgenreichen Schwangerschaft führt.

Pernille Fischer Christensen
Pernille Fischer Christensen Berlinale 20140210
Foto: Siebbi
Lizenz: CC BY 3.0

Anfangs war ich etwas irritiert davon, wie viel Zeit die dänische Drehbuchautorin und Regisseurin Pernille Fischer Christensen dem Verhältnis zwischen Astrid und Blomberg widmet. Konditioniert durch Künstlerbiografien wie Wenn Träume fliegen lernen (2004) oder Walk the Line (2005) erwartete ich eine Erzählung über die Schriftstellerin Astrid Lindgren. Woher hatte sie ihre Ideen? Welche Widerstände musste sie überwinden? Welche anderen Dinge musste sie vielleicht in ihrem Leben vernachlässigen, um ihren Traum zu verwirklichen? Christensen hingegen (die das Drehbuch gemeinsam mit Kim Fupz Aakeson geschrieben hat) erzählt die Geschichte einer jungen Mutter im Schweden der 1920er-Jahre.

Damit ihre Schwangerschaft in ihrem Heimatort nicht bekannt wird, beginnt Astrid in Stockholm eine Ausbildung als Sekretärin. Blomberg hat indes Angst, wegen Unzucht ins Gefängnis zu kommen. Deshalb überredet er Astrid dazu, ihr Kind heimlich in Dänemark zur Welt zu bringen und an eine Pflegemutter zu geben. Sobald der Scheidungsprozess zu Ende sei, könnten sie es dann zu sich holen. Sie tut wie geheißen und der kleine Lasse wächst bei Pflegemutter Marie (Trine Dyrholm) in Kopenhagen auf. Doch die juristische Auseinandersetzung zieht sich länger hin, als Astrid erwartet hat. Aus Wochen werden Monate, aus Monaten schließlich Jahre, in denen sie ihren Lasse nur so selten besuchen kann, dass dieser inzwischen seine Pflegemutter als seine echte „Mama“ ansieht.

Ist es nun gut oder schlecht, dass Astrid kein typisches Biopic ist? Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Der Film ist ein Drama über die schwierige Rolle der Frauen in dieser Zeit: In den Zeitschriften wird das Bild der modischen jungen Frau transportiert, die in der Großstadt Karriere macht. Doch tatsächlich sind die Frauen dieser Zeit nach wie vor in strengen, teils religiös motivierten gesellschaftlichen Normen gefangen. Personifikation dieser Zwänge ist Astrids Mutter Hanna (Maria Bonnevie), die während des gesamten Konflikts ihr Augenmerk immer nur darauf legt, dass Astrid (und damit auch ihre Familie) nicht in Misskredit gerät. Und auch das Leben in der Großstadt ist nicht so glänzend, wie das Bild der „goldenen Zwanziger“ einen oft glauben lässt. Dies zeigt sich spätestens dann, wenn Lasse später tatsächlich endlich zu Astrid zieht und sie versuchen muss, als alleinerziehende Mutter über die Runden zu kommen.

Alba August
MJK 12778 Alba August (Berlinale 2018)
Foto: Martin Kraft
Lizenz: CC BY-SA 3.0
Beschnitten.

Die Hauptfigur des Films wird überraschend vielschichtig gezeichnet durch die Entscheidung, sie so privat mit ihren alltäglichen Sorgen zu zeigen, statt einen heldenhaften Aufstieg zur gefeierten Kinderbuchautorin. Die Authentizität der Figur wird zudem gestützt durch das herausragende Spiel von Alba August, die sowohl die naive Jugendliche als auch die verzweifelte Mutter überzeugend auf die Leinwand bringt. Doch auf der anderen Seite fehlt dem Film auch die befriedigende Wirkung des typischen Biopics, vermeintliche Antworten auf das Mysterium zu geben, welches Zaubermittel aus einer normalen Frau eine Ausnahmeautorin gemacht hat.

Doch auch als Anti-Biopic ist Astrid nicht ohne Schwächen. Während es die Klischees des einen Genres vermeidet, werden jene des Dramas stellenweise doch mehr bedient, als mir lieb gewesen wäre. So neigt der Film zu Schwarz-Weiß-Malerei, um eine für das Publikum befriedigende Entwicklung zeigen zu können. Ein Beispiel hierfür ist Hanna, die den Großteil der Spielzeit als eindimensional strenge Figur gezeichnet wird, damit sie am Ende des Films eine Entwicklung zu mehr Herzlichkeit vollziehen kann.

Fazit:

Insgesamt ist Astrid ein sehr rührender Film, der seine Wirkung insbesondere durch seine überzeugende Hauptdarstellerin entfalten kann. Die Entscheidung gegen ein typisches Biopic wäre jedoch überzeugender gewesen, wenn sich das Autorenteam nicht stattdessen für ein relativ typisches Drama entschieden hätte.

Wo man ihn sehen kann

Astrid ist am 24. Mai 2019 auf bei DCM auf DVD und Blu-Ray erschienen. Außerdem kann er bei den VOD-Anbietern Amazon, Cineplex Home, Freenet Video, iTunes, Maxdome, Microsoft, Rakuten TV, Sky Store, Videoload und Videociety geliehen oder gekauft werden. Bei Kino on Demand und Videobuster ist er nur im Verleih erhältlich. (Stand: 8. Februar 2021)