Brügge sehen … und sterben? (2008)

17. Januar 2017 | Filmkritik | Michael Brandtner

Teurer Anzug, emotionslose Miene, Maschinengewehr im Anschlag – Schon seit Scarface (1932) legen Gangster im Kino eine Coolness an den Tag, die vermutlich nur wenig mit dem tatsächlichen Alltag im kriminellen Milieu zu tun hat. Dass es auch anders geht, beweist Martin McDonagh mit seiner melancholischen Gangsterkomödie Brügge sehen … und sterben?, die heute vor neun Jahren auf dem Sundance Film Festival ihre Weltpremiere feierte.

Brendan Gleeson
Brendan Gleeson at
the Moet BIFA 2014
Foto: Ibsan73
Lizenz: CC BY 2.0
Nach einem Attentat werden die beiden britischen Auftragskiller Ray (Colin Farrell) und Ken (Brendan Gleeson) von ihrem Boss Harry nach Belgien in das winterliche Brügge geschickt, wo diese weitere Instruktionen abwarten sollen. Die ungleichen Partner gehen davon aus, dass sie in der verschlafenen Stadt nur abwarten sollen, bis sich die Wogen geglättet haben und sie wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Während Ken die Zeit nutzen will und begeistert die mittelalterliche Innenstadt erkundet, langweilt sich Ray schrecklich und wird außerdem immer stärker von Schuldgefühlen geplagt: Denn bei dem von ihm durchgeführten Auftragsmord an einem Priester ist versehentlich ein kleiner Junge zu Tode gekommen. Als endlich das Telefon klingelt, stellt sich heraus, dass genau dies auch der Grund ist, warum sich die beiden Killer an dem belgischen Urlaubsort befinden …

Der Gangsterfilm, der erstmals Ende der 20er-Jahre seinen Weg auf die Leinwände fand, erzählt meist von Aufstieg und Fall eines kriminellen Helden im Großstadtdschungel, dessen gewalttätiger Alltag dem Publikum in einer spannenden Geschichte mit expliziten Bildern präsentiert wird. Ein Genre, das die Zuschauer schockiert und gleichzeitig ihre (meist) unbewussten Wünsche nach einem Leben ohne Regeln und Tabus anspricht. Doch natürlich gibt es auch Filmemacher, die eine Geschichte über Berufsverbrecher erzählen möchten, ohne sich an diese Konventionen zu halten. Bei Martin McDonaghs Langfilm-Debüt Brügge sehen … und sterben? (Originaltitel: In Bruges) ist dies in doppelter Hinsicht der Fall: Dieser Film ist nicht nur ein Gangsterfilm, der sich nicht an die Regeln des Gangsterfilms halten will, sondern auch eine Komödie, die für dieses Genre eigentlich viel zu melancholisch geraten ist.

Martin McDonagh
Martin McDonagh (2012)
Foto: Tabercil
Lizenz: CC BY-SA 2.0
Von der aufregenden Welt des Verbrecherlebens gibt es in Brügge sehen … und sterben? auf jeden Fall nicht viel zu sehen. Denn die belgische Stadt ist kein besonders heißes Pflaster und Ray und Ken sind im Endeffekt nur zwei ganz normale Leute. Dass der Film in seiner eigentlich recht ereignislosen ersten Hälfte trotzdem nie langweilig wird, liegt vor allem an der hervorragenden Chemie zwischen seinen beiden Hauptdarstellern und den vielen sehr komischen Dialogen die McDonagh ihnen in den Mund legt. Außerdem trägt Rays labile Psyche zur Spannung bei, da dieser immer stärker unter seiner Schuld leidet und sich schließlich sogar das Leben nehmen will. Es ist erstaunlich, wie es der Film schafft, hierbei die Tragikomik in so perfekter Balance zu halten, dass die witzigen Szenen witzig bleiben und die dramatischen Momente trotzdem nichts an ihrer Wirkung verlieren.


Aufgelockert wird die Handlung außerdem von einer ungewöhnlichen Liebesgeschichte: An einem Filmset lernt Ray die Drogendealerin Chloë (Clémence Poésy) kennen und ist von der jungen Frau sofort beeindruckt. Obwohl das erste gemeinsame Abendessen in einem Fiasko endet, treffen die beiden sich bald wieder und finden immer mehr Gefallen aneinander. Auch wenn dieser Subplot einige sehr witzige Szenen zu bieten hat und McDonagh versucht, ihn an mehreren Punkten mit der hauptsächlichen Handlung zu verbinden, wirkt er insgesamt doch ein wenig wie ein überflüssiges Anhängsel und ist damit der einzige Aspekt, der mich an diesem Film nicht völlig überzeugen konnte.

Doch die positiven Seiten überwiegen hier bei Weitem. Besonders die Performance von Brendan Gleeson soll an dieser Stelle nochmals hervorgehoben werden. Wendepunkt des Films ist Kens folgenschweres Telefonat mit Harry, das von McDonagh in einer sechsminütigen Plansequenz gedreht wurde. Während der ganzen ungeschnittenen Szene agiert Gleeson alleine vor der Kamera und durchlebt ein Wechselbad der Gefühle. Der gebürtige Ire ist dabei so überzeugend, dass dieser Moment als Anschauungsmaterial an Schauspielschulen eingesetzt werden könnte.

Die melancholische Stimmung in Brügge sehen … und sterben? wird auch von Carter Burwells Filmmusik unterstützt, die an Schuberts Winterreise angelehnt ist und mit wunderschönen Klavierklängen die Bilder von Brügge untermalt. Gegen Ende des Films wird das Klavier jedoch nach und nach durch eine verzerrte E-Gitarre ersetzt, denn als wäre eine Gangster-Tragikomödien-Romanze nicht schon Genre-Mix genug gewesen, kommt schließlich doch noch ein Thriller-Element in die Handlung. Was dieses ist, soll hier nicht näher erläutert werden, da es beim ersten Ansehen des Films doch recht überraschend sein kann (zumindest, wenn man es geschafft hat, Trailern und Inhaltsangaben bis zu diesem Zeitpunkt aus dem Weg zu gehen). Endlich werden die Schusswaffen rausgeholt und ein Kampf auf Leben und Tod beginnt. Doch auch im großen Finale bleibt McDonagh seinem eingeschlagenen Weg treu: Spannend, witzig und melancholisch und alles andere als ein typischer Gangsterfilm.

Fazit:

Brügge sehen … und sterben? ist ein unkonventioneller Genre-Mix mit zwei hervorragenden Hauptdarstellern, der es auf unvergleichliche Weise schafft, Humor, Tragik und Spannung zu einem überzeugenden Ganzen zu vereinen. Kein typischer Gangsterfilm und gerade deswegen vielleicht einer der besten Gangsterfilme aller Zeiten.




Was andere schreiben

Thomas Mayer bezeichnet den Film auf Handle Me Down als „ein umwerfendes Independent-Kleinod“, weist aber darauf hin, dass „der grandiose Dialogwitz im akzentreichen englischen Original weit trefflicher zur Geltung kommt“ als in der deutschen Fassung.

Auch Stefan Rybkowski von Equilibrium ist von der Mischung aus Humor und Tragik begeistert. Außerdem hebt er den Drehort Brügge hervor: „Es ist fast schon gefährlich, wie mich die wunderschönen Aufnahmen dieser wunderschönen Stadt begeistert haben, sodass es fast schon an ein Wunder grenzt, dass ich nicht sofort einen Flug dorthin gebucht habe“.

Lucien Stapel von Mojoba fühlte sich offenbar an den Tod in Venedig erinnert, denn er schreibt: „Thomas Mann hätte bestimmt seine Freude an diesem Film gehabt, denn der Tod strahlt hier unsichtbar durch jeden Backstein und durch jedes seltsam entrückte Wort“. Auch sein Fazit fällt positiv aus: „Dieses Stück Satire verlässt einen nicht so schnell wieder.“


Wie man ihn sehen kann

Brügge sehen … und sterben? ist im Verleih von Universal Film auf DVD und Blu-Ray-Disc erhältlich. Außerdem kann der Film in den Flatrates von Amazon Instand Video und Netflix gestreamt werden. Digital mieten oder kaufen kann man ihn bei Amazon, iTunes, Sony, Videobuster und Videoload. (Stand: 9. Januar 2017)