Westfront 1918 (1930)

11. November 2016 | Filmkritik | Michael Brandtner

Als ich im August meine Filmkritik zu Im Westen nichts Neues (1930) veröffentlichte, machte mich Niels von der Flensburger Gesellschaft für Phantastik auf Westfront 1918 aufmerksam, einen Antikriegsfilm von Georg Wilhelm Pabst, der im selben Jahr erschienen ist und seiner Meinung nach deutlich besser sei. Ob das wirklich stimmt, lässt sich jedoch gar nicht so leicht beantworten.


Zwei Filme über den Ersten Weltkrieg, beide pazifistischer Natur, beide 1930 erschienen, der erste in Deutschland, der zweite in den USA produziert. Der Vergleich zwischen dem heute eher unbekannten Westfront 1918 von G. W. Pabst und Lewis Milestones mit dem Oscar ausgezeichneten Im Westen nichts Neues bietet sich an. Doch die Regisseure wählen sehr unterschiedliche Wege, ihre Geschichten zu erzählen und beide Filme haben ihre Stärken und Schwächen. Welchen man nun als den besseren betrachten möchte, hängt vor allem davon ab, wie man diese gewichtet.

Einer der Faktoren, in denen sich beide Filme deutlich unterscheiden, ist die Inszenierung, vor allem in Hinsicht auf Kamera und Schnitt. Als Beispiel kann hier die jeweils erste Szene dienen: Während Milestone mit einer eindrucksvollen Kamerafahrt beginnt, zeigt Pabst eine vergleichsweise unspektakuläre Sequenz, in der sich eine Handvoll deutscher Soldaten in einem französischen Wohnhaus hinter der Front die Zeit vertreibt. Pabsts Einstieg mit seinen statischen, herkömmlich geschnittenen Kameraeinstellungen ist nicht nur technisch weniger beeindruckend, sondern hat auch ein deutlich geringeres emotionales Gewicht als der kriegsverherrlichende Monolog des Lehrers im amerikanischen Film. Zumindest auf der technischen Seite täuscht dieser erste Eindruck keineswegs: Der moderne, oft mitreißende Inszenierungsstil von Im Westen nichts Neues, mit seiner hohen Tiefenschärfe und mobilen Kamera, ist in Westfront 1918 nirgends zu finden. Insgesamt neigt Pabst zu einer eher nüchterneren und distanzierteren Inszenierung, was seinen Film zum deutlich weniger zugänglichen Werk macht.

Distanzierte Kamera in Westfront 1918
Abb. 1 (© Deutsche Kinemathek / zdf.kultur)
Besonders fällt diese Distanziertheit in den Kampfszenen auf. Während die Zuschauer sich bei Milestone mitten im Gefecht befinden, einmal sogar die subjektive Perspektive eines MG-Schützen einnehmen, zeigt Pabst die Kampfhandlungen oft in Panorama-Einstellungen und in solch einer dokumentarisch-distanzierten Art, dass es fär das Publikum manchmal schwer ist, dem Geschehen zu folgen (Abb. 1). Nach einem Schnitt ist es zudem häufig nicht ganz deutlich, in wie fern sich die Kameraperspektive und -position geändert haben, was die räumliche Orientierung sehr erschwert. Aus diesem Grund ist es gelegentlich nur durch Beachtung der Helmform auszumachen, ob gerade deutsche oder französische Soldaten zu sehen sind. Wo sich in dem Chaos die Hauptfiguren befinden, ist teilweise völlig unklar. Dies kann jedoch durchaus auch Absicht sein. Denn so wirkt der Krieg nicht wie eine Bewährungsprobe, welche die Protagonisten stellvertretend für das Publikum durchleben, sondern wie ein chaotisches und sinnloses Gemetzel, in dem eine anonyme Masse von Soldaten ihren Tod findet.


Fritz Kampers
Fritz Kampers (1947)
Die Unterschiede im Drehbuch sind ähnlich deutlich. Im Westen nichts Neues erzählt die Geschichte seines Protagonisten in einer Art Heldenreise: Das Publikum bricht gemeinsam mit dem jungen Soldaten Paul Bäumer aus seiner Heimatstadt auf und erlebt mit, wie er einige Bewährungsproben bestehen muss, bis die Geschichte schließlich ihr tragisches Ende findet. Der Roman Vier von der Infanterie von Ernst Johannsen, den Pabst mit Westfront 1918 verfilmte, hat hingegen vier verschiedene Hautpfiguren. Die daraus resultierenden häufigen Perspektivwechsel vermindern anfangs zusätzlich die Zugänglichkeit des Films. Im weiteren Verlauf der Handlung legt sich diese Fragmentiertheit zum Glück etwas. Dies liegt daran, dass Drehbuchautor Ladislaus Vajda sich zunehmend auf die Erlebnisse von Karl (Gustav Diessl) und dem Studenten (Hans-Joachim Moebis) konzentriert, während der Bayer (Fritz Kampers) und der Leutnant (Claus Clausen) in der Filmfassung der Geschichte zwar immer wieder auftauchen, jedoch insgesamt nur Nebenfiguren sind.


Würde man die Qualität eines Films lediglich an Maßsben wie Zugänglichkeit für das Publikum, Spannung der Erzählung und visuelle Schauwerte messen, wäre Westfront 1918 also das deutlich weniger gelungene Werk. Doch auf einer anderen – und vielleicht wichtigeren – Ebene hat Pabsts Film klar die Nase vorne: Die emotionale Wirkung der Geschichte und die Vermittlung der pazifistischen Botschaft. Dass Im Westen nichts Neues bei seiner Veröffentlichung in Deutschland große Diskussionen auslöste und schließlich verboten wurde, während die Kritik an Westfront 1918 gemäßigter ausfiel, liegt auf der einen Seite sicherlich daran, dass es sich nicht um einen amerikanischen Film handelt, sondern er von Menschen produziert wurde, die den Weltkrieg tatsächlich von deutscher Seite aus miterlebt hatten. Andererseits fällt die pazifistische Botschaft bei Pabst auch deutlich subtiler aus: Während Milestone zahlreiche belehrende Mono- und Dialoge einsetzt, welche die Sinnlosigkeit des Krieges für das Publikum ausformulieren, lassen sich ähnliche Drehbuchzeilen in Westfront 1918 an einer Hand abzählen. Der deutsche Regisseur setzt stattdessen auf die Wirksamkeit der Geschichte selbst und der Bilder, mit denen er diese erzählt.

Die unterschiedliche Art und Weise, wie beide Regisseure ihre Botschaft unters Volk bringen möchten, lässt sich wieder am besten an einem Beispiel illustrieren: Beide Filme zeigen einen Heimaturlaub und machen deutich, wie entfremdet die Soldaten vom zivilen Leben in Deutschland mittlerweile sind. Milestone nutzt diese Sequenz für eine Kritik an den Daheimgebliebenen, die den schon so gut wie verlorenen Krieg weiterhin befürworten oder aus der Gemütlichkeit einer Kneipe heraus argumentieren, was die Soldaten an der Front besser machen müssten. Pabst verfolgt andere Ziele: In Westfront 1918 erwischt Karl seine Ehefrau (Hanna Hoessrich) im Bett mit einem Liebhaber. In den folgenden wenigen Tagen, die der Soldat mit seiner von Nahrungsmittelknappheit geplagten Familie verbringt, fleht Karls Frau ihn an, ihr zu verzeihen oder wenigstens überhaupt mit ihr zu sprechen. Doch Karl bleibt kalt und distanziert und verlässt seine Heimat schließlich, ohne sich mit ihr ausgesöhnt zu haben. Die Trostlosigkeit dieser Szenen und Karls fehlende Fähigkeit, seine Gefühle auszudrücken (oder überhaupt etwas zu fühlen) haben dabei eine deutlich stärkere emotionale Wirkung als die eher an den Intellekt appellierenden Szenen in Im Westen nichts Neues.

Abb. 2
Abb. 2 (© Deutsche Kinemathek / zdf.kultur)
Wie in meiner Kritik zu Im Westen nichts Neues geschrieben, bewirkt Milestone mit der Entscheidung, seine Figuren gebetsmühlenartig pazifistische Botschaften verkünden zu lassen, genau das Gegenteil von dem, was er intendiert: Es ist für das Publikum offensichtlich, dass es beeinflusst werden soll, wodurch eine gewisse Abwehrhaltung entsteht. Pabst ist hier viel subtiler und deshalb im Endeffekt wirkungsvoller: Je aussichtsloser der Kampf der deutschen Soldaten im letzten Drittel des Films wird, desto mehr tote Soldaten sind auf dem Schlachtfeld zu sehen. Bald werden die langen, statischen Panorama-Aufnahmen von Leichenbergen deutscher Soldaten dominiert (Abb. 2). Die Bilder sprechen für sich, niemand muss einem hier erklären, was am Krieg so grauenhaft ist. Und vielleicht ist Pabst deshalb im Endeffekt auch der bessere Regisseur. Weil er nicht die spektakuläreren Bilder abliefert, aber die wirksameren. Und darauf vertraut, dass die Wirksamkeit der Bilder ausreicht, um das Publikum zu überzeugen.


Fazit:

Auf den ersten Blick ist Westfront 1918 kein besonders gelungener Film. Die Inszenierung ist recht dröge, die Kampfszenen sind oft unübersichtlich und es ist lange unklar, wer hier eigentlich die Hauptfiguren sein sollen. Doch die Geduld der Zuschauer zahlt sich aus. Denn im weiteren Verlauf gelingt es G. W. Pabst eine immer bedrückendere Atmosphäre zu erzeugen und durch die schrecklichen Bilder des Massensterbens in den Schützengräben seine pazifistische Botschaft auf gleichzeitig subtile wie auch eindrucksvolle Weise an das Publikum zu vermitteln.


Urheber des Fotos von Fritz Kampers ist die Deutsche Fotothek, es wurde von mir beschnitten. Das Original und die Bearbeitung stehen unter der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland (CC BY-SA 3.0 DE) .