Alles steht Kopf (2015)

29. Dezember 2016 | Filmkritik | Michael Brandtner

1995 brachten die Pixar Animation Studios mit Toy Story den ersten vollständig computeranimierten Langfilm in die Kinos. Inzwischen haben zahlreiche andere Produktionsfirmen nachgezogen und mit Pixeln und Polygonen die handgezeichneten Trickfilme fast vollständig von den Leinwänden verdrängt. Pixar hat also inzwischen viel Konkurrenz bekommen, doch kaum ein anderes Animationsstudio schafft es so gut, seinen Filmen nicht nur Humor und Spannung, sondern auch eine gehörige Portion Gefühl zu verleihen. Das perfekte Beispiel hierfür ist Alles steht Kopf, in dem die Gefühle eines 11-jährigen Mädchens diesmal sogar die Hauptrolle spielen.

In der Kommandozentrale in Rileys Kopf gibt es alle Hände voll zu tun: An einem großen Schaltpult haben die fünf Emotionen Freude, Wut, Ekel, Angst und Kummer die Fäden in der Hand und steuern die Reaktionen des Mädchens auf alles, was es in seinem Alltag erlebt. Federführend ist hierbei eigentlich stets die Freude, doch als Riley mit ihren Eltern von Minnesota nach San Francisco umzieht, beginnt Kummer immer mehr an Einfluss zu gewinnen. Das passt Freude natürlich überhaupt nicht und sie bemüht sich, ihre stets traurige Kollegin auf freundliche aber bestimmte Art und Weise davon zu überzeugen, dass sie am hilfreichsten ist, wenn sie möglichst nichts tut. Als Riley sich jedoch in ihrer neuen Klasse vorstellt und aus Heimweh in Tränen ausbricht, eskaliert der Konflikt zwischen ihren Emotionen und Freude und Kummer werden in das Langzeitgedächtnis geschleudert. Das Mädchen, von nun an ausschließlich von Wut, Angst und Ekel erfüllt, entscheidet bald darauf, von zu Hause wegzulaufen. Freude und Kummer müssen nun lernen zusammenzuarbeiten, um in die Kommandozentrale zurückzufinden und die Situation wieder unter Kontrolle zu bekommen …

Alles steht Kopf (Originaltitel: Inside Out) ist ein Familienfilm im doppelten Wortsinn. Zum einen ist er für jedes Alter geeignet: Die Kleinsten können die bunten Bilder und die spannende Geschichte genießen, während Schulkinder Spaß daran haben werden, sich vorzustellen, was in ihrem eigenen Kopf für Gefühle und Erinnerungen zu finden sind. Eltern hingegen können viele Wahrheiten über Ehe und Kindererziehung entdecken und werden an der einen oder anderen rührenden Stelle auch die Taschentücher rausholen müssen. Vor allem ist Alles steht Kopf aber auch ein Film über die Familie. Obwohl ein Großteil der Handlung in Rileys Gehirn stattfindet, liegt das Herz dieser Geschichte in der Beziehung zwischen dem Mädchen und seinen Eltern. Dies wird gleich zu Beginn des Films deutlich, als die junge Familie kurz nach Rileys Geburt das erste Mal zusammen ist und das Neugeborene diesen Moment als erste positive Kernerinnerung im Langzeitgedächtnis abspeichert.

Regisseur Pete Docter
Pete Docter (2009)
Foto: nicolas genin
Lizenz: CC BY-SA 2.0
Das Bild wurde beschnitten
Es ist erstaunlich, wie es Regisseur Pete Docter und seinem Team gelingt, die Funktionsweise des menschlichen Gehirns gleichzeitig realistisch und anschaulich umzusetzen. Ob Langzeitgedächtnis, Unterbewusstsein, Träume oder Ohrwürmer: Zahlreiche Aspekte der Psyche werden von Freude und Kummer erkundet und so auch für das Publikum verständlich gemacht. Der eigentliche Plot, der auf dieser Ebene des Films erzählt wird (ein ungleiches Paar muss versuchen, aus einer fremden Umgebung wieder nach Hause zu finden) ist dabei aber so universell, dass die jüngsten Zuschauer auch problemlos ignorieren können, dass alles, was sie sehen, eine Entsprechung in ihrem eigenen Kopf haben soll. Nur sehr selten wird der hohe Anspruch der Filmemacher, möglichst viele Aspekte des Themas abzudecken, zum Problem: So ist ein kurzer Ausflug in das abstrakte Denken, bei dem die Protagonisten immer abstrakter werden, bis sie nur noch zweidimensionale Flächen sind, für Kinder vermutlich nicht nachzuvollziehen. Ein anderer kleiner Kritikpunkt ist ein leichter Hang zu Stereotypen. Das deutlichste Beispiel hierfür ist eine Szene am heimischen Esstisch, die bereits im Trailer ausführlich gezeigt wurde: Während Rileys Mutter empathisch versucht, ihre Tochter über ihren ersten Schultag zu befragen, denkt der Vater nur über Fußball nach und reagiert entsprechend unangemessen auf die Situation.


Synchronsprecher Michael Pan
Michael Pan (2007)
Foto: Helen Krüger
Lizenz: CC BY 3.0
Doch diese Kleinigkeiten können die Begeisterung, die einen beim Anschauen dieses Meisterwerkes erfüllt, kaum bremsen. Denn für jede nicht so gelungene Idee folgen gleich wieder fünf weitere grandiose Einfälle der Filmemacher. So zum Beispiel der unsichtbare Freund Bing Bong (für die deutsche Fassung sehr passend mit Synchron-Urgestein Michael Pan besetzt), der in den Tiefen von Rileys Langzeitgedächtnis herumspaziert und schon länger nichts mehr zu tun hat. Die Figur ist in ihrer Schrulligkeit für viele Lacher gut, hat aber gleichzeitig einen traurigen Kern: Denn zumindest für das erwachsene Publikum ist gleich klar, dass die pinke Mischung aus einem Elefanten und einem Delfin spätestens in der Pubertät völlig aus dem Gedächtnis verschwinden wird. Diese Mischung aus Freude und Melancholie ist exemplarisch für die Stimmung des gesamten Films und auch die letztendliche Message schlägt in dieselbe Kerbe: Traurigkeit ist ein genauso wichtiger Teil des Lebens wie Freude, sie gehört einfach dazu. Und wenn man traurig ist, ist es schön, jemanden zu haben, der einen tröstet und mit dem man über alles reden kann.


Fazit:

Alles steht Kopf ist unbestreitbar einer der besten Animationsfilme der letzten Jahre. Das Konzept ist genial und perfekt umgesetzt und verleiht dem Film eine für das Genre ungewöhnliche Tiefe. So kann er Kinder zum Nachdenken über ihre eigenen Emotionen anregen und wird sicherlich in vielen Familien zu interessanten Gesprächen führen. Gleichzeitig ist er aber auch einfach ungemein unterhaltsam: Lustig, spannend, rührend und mit vielen Wahrheiten über das Familienleben gespickt – Eine klare Empfehlung für alle Altersklassen!




Was andere schreiben

Der Kinogänger“ Ralf A. Linder kann den Hype um Alles steht Kopf nicht ganz nachvollziehen, da ihm die Botschaft zu banal und weite Teile des Films zu konventionell sind. Als positive Ausnahme nennt er den Ausflug ins abstrakte Denken, der in seiner Kreativität genial sei und „andeutet, was möglich gewesen wäre.“
Stefan Rackow von Mannbeisstfilm hat den „kreativ-originellsten Animationsfilm der vergangenen Zeit“ gesehen und hebt besonders positiv hervor, dass trotz aller abgefahrenen Ideen nie der Bezug zur Realität verloren gehe.
Jörg Benne schreibt auf Captain Fantastic, dass der Film „die ganze Klaviatur der Emotionen ausnutzt“ und lobt neben dem optischen Einfallsreichtum auch die Arbeit der deutschen Synchronsprecher.

Wie man ihn sehen kann

Alles steht Kopf wurde am 11. Februar 2016 von Walt Disney Studios Home Entertainment auf DVD, Blu-Ray und Blu-Ray 3D veröffentlicht. In digitaler Form kann der Film bei Amazon Instand Video, CHILI, Google Play, iTunes, JUKE, Maxdome, Sony, Videoload und Wuaki erworben werden. (Stand: 27. Dezember 2016)